„Bevölkerungsschutzgesetz“ oder Wie legitimiert man sein Versagen nachträglich?

Wenn man ein Gesetz, das in zahlreiche Grundrechte eingreift und das Einfluss auf viele wirtschaftliche Existenzen haben kann und wird, an einem Tag durch Bundestag und Bundesrat peitscht, sollte man sich über Skepsis und Wut nicht wundern. Wenn man diese Skepsis und Wut dann mit Gummiknüppeln, Wasserwerfern und Tränengas beantwortet, muss man sich bewusst sein, dass man die oft beklagte Spaltung in der Gesellschaft zementiert.

Mit der gestern beschlossenen Novellierung des Infektionsschutzgesetzes wird offenbar der Versuch unternommen, das eigene oft hilflos wirkende und nicht selten willkürliche Vorgehen gegen die Ausbreitung von Corona nachträglich zu legitimieren. So wird im § 28a des Gesetzes ein – überdies nicht abschließender – Maßnahmenkatalog festgeschrieben, der zum Kampf gegen eine pandemische Lage eingesetzt werden soll.

Der Maßnahmenkatalog soll bei Überschreiten bestimmter Inzidenzwerte präzisieren, welche Beschränkungen ergriffen werden. Beispielhaft werden Abstandsgebote, Kontaktbeschränkungen und die Maskenpflicht im öffentlichen Raum genannt, aber auch die Schließung von Geschäften und Verbote für Veranstaltungen. Also genau das, was wir in den letzten Monaten erlebt haben. Das, was bisher über eine Generalklausel einfach von der Exekutive verordnet wurde, ist nun Gesetz geworden und wird sicher immer wieder aus der Schublade geholt werden, wenn es gerade in den Kram passt.

Ein weiteres Problem des Gesetzes ist, dass die „pandemische Lage“, bei der mit knallharten Maßnahmen reagiert werden kann, überhaupt nicht klar definiert wird. Das Gesetz ist eine Wundertüte mit unzähligen unbestimmten Rechtsbegriffen, die alles und nichts bedeuten können und auf recht willkürlichen Kennziffern basieren. So sind die Infizierten-Zahlen und damit auch die verhängten Maßnahmen immer abhängig von der Zahl der vorgenommenen Tests und der Kapazität der Gesundheitsämter.

Dem Ganzen fehlt es an Verhältnismäßigkeit. Es wird nicht zwischen möglichem Gesundheitsschutz und entsprechender Gesundheitsgefährdung auf der einen Seite und den möglichen Folgen für das gesellschaftliche Leben und die wirtschaftliche Entwicklung auf der anderen Seite abgewogen. Nicht einmal Entschädigungen für diejenigen, denen die Einschränkungen wirtschaftlich das Genick brechen können, sind bislang im Gesetz vorgesehen.

Hierzu muss auch erwähnt werden, dass die „großzügig“ versprochene „Novemberhilfe“, die den aktuell zwangsweise geschlossenen Betrieben zumindest in Höhe von 75 Prozent des Umsatzes im Vorjahresmonat ausgezahlt werden soll, noch immer nicht geflossen ist. Die Einnahmen brachen weg, die Kosten für Personal, Miete und andere Fixkosten laufen aber weiter. Für dieses drängende Problem sieht das nun beschlossene Gesetz keine Lösung vor. Das Gesetz enthält zwar Befristungs- und Begründungsregeln, diese werden aber nicht konkretisiert, wodurch sie zu reinen Beruhigungspillen verkommen.

Wie weltfremd viele Maßnahmen sind, versinnbildlicht auch der Vorschlag aus dem Kanzleramt, der in dieser Woche in der Konferenz mit den Ministerpräsidenten diskutiert wurde, aber glücklicherweise erstmal in der Schublade verschwunden ist. Der Entwurf sah vor, dass Kinder beim Spielen vorerst nur noch Kontakt zu einem anderen Kind haben sollen, dass auch Grundschüler während des Unterrichts eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen sollen und dass man sich bei Aufkommen eines Schnupfens selbst für einige Tage in Quarantäne begeben solle. Merkel und Co. scheinen mit ihrem Latein am Ende zu sein.

Das neue Gesetz ist übereilte Flickschusterei und bietet angesichts noch immer steigender Infektionszahlen nicht einmal ein echtes Lösungskonzept. Denn die Maßnahmen, die das Gesetz enthält, gelten seit Wochen, haben bislang aber scheinbar nicht zur Entspannung der Lage geführt. Wenn dieser „Lockdown light“ nicht hilft, was kommt als Nächstes?

Die verantwortlichen Politiker scheinen zu registrieren, welche Folgen es haben kann, dass sie das Gesundheitssystem über Jahre hinweg gewinnorientiert ausgerichtet, aber bei der Grundversorgung den Rotstift angesetzt haben.

Dass an der Grundversorgung und am Personal gespart wurde, dass in Berlin und den Landeshauptstädten angesichts mobiler Leichenhallen in US-Großstädten und kollabierender Gesundheitssysteme in Südeuropa das schlechte Gewissen und die Angst umgeht, dass sowas auch hierzulande möglich wäre, sollte man nun die Bürger nicht mit undifferenzierten, unsozialen und wirtschaftlich katastrophalen Maßnahmen ausbaden lassen.

Ein solide finanziertes Gesundheitssystem mit ordentlich bezahltem Personal und eine Politik, die die Steigerung der Volksgesundheit dauerhaft und nicht nur in Krisenzeiten als echtes Staatsziel begreift, wäre besser als wildes Herumexperimentieren!

Ronny Zasowk