Nachrichtenverbreitung nach Gutsherrenart

Als im Mai 1986 der erste Regen nach der Katastrophe von Tschernobyl über Deutschland fiel, schwiegen die DDR-Medien das Risiko der radioaktiven Belastung von Agrarprodukten auf Anweisung der SED nieder. Dieser Nachrichtenboykott wiederholte sich 1989 nach den gefälschten Kommunalwahlen und im Herbst als die Montagsdemonstrationen begannen.

2012 ist die SED längst Geschichte, der Ungeist der Nachrichtenzensur jedoch nicht.

Schon in den letzten zwei Jahren sind nahezu alle Presseverlautbarungen der NPD-Oberhavel von der Presse im Landkreis beschwiegen worden.

Mit der Weigerung der Lokalpresse, den Bürgern den Prozeßsieg des Oranienburger NPD-Stadtverordneten Detlef Appel über die „Courage-Elser-Initiative“ bzw. deren Vorsitzenden Burkhard Gräf zeitnah mitzuteilen, hat der Antijournalismus nach dem Ende der DDR eine neue Qualität erreicht.

Appel war, wie das Landgericht Neuruppin am 20. 6. 2012 feststellte, am 9. 4. 2010 in Oranienburg rechtswidrig aus einer Veranstaltung der „Courage-Elser-Initiative“ geworfen worden. Damit mißbrauchte der Veranstalter B. Gräf sein Hausrecht unter Verletzung der Grundrechte des widerrechtlich des Saales verwiesenen NPD-Volksvertreters.

Gleich nach jener Veranstaltung im Oranienburger Bürgerzentrum begann die Desinforma-tion der Öffentlichkeit: So behauptete der Oranienburger Generalanzeiger am 12. 4. 2010, daß fünf Männer vor dem Zentrum „mit Schildern nationalsozialistischen Inhalts“ gestanden hätten. Tatsächlich haben diese lediglich die Namen der Opfer des Elser’schen Bomben-attentats 1939 hochgehalten, jedoch keine politische Parole, erst recht keinen „nationalsozialistischen Inhalt“.

Über den Auftakt des von Detlef Appel angestrengten Prozesses gegen den Veranstalter vom 9. 4. 2010 wurde von beiden Lokalzeitungen am 9. 9. sowie am 21. 9. 2011 immerhin noch berichtet. Nun jedoch, da der NPD-Stadtverordnete den Prozeß für sich entscheiden konnte, brach zunächst das große Schweigen aus.
Die Oberhaveler Zeitungsleser sollten das offenbar nicht erfahren dürfen.

Mit einem Monat Verspätung brachen die „Märkische Allgemeine“ und das „Neue Deutschland“ am 20. 7. 2012 den Nachrichtenboykott.
Mit der „Empörung“ der Prozeßverlierer (niedergelegt in einer Presseerklärung) als offiziellem Aufhänger wurde das Neuruppiner Urteil schließlich bekannt gegeben.
Ob es der NPD-Beitrag auf den Parteiseiten im Internet war, der den Nachrichtenboykott benannte oder die Pressemitteilung der Elser-Apologeten, die nach einem Monat doch zur Berichterstattung führte, wird man wohl nie erfahren.

Der Oranienburger Generalanzeiger / Gransee Zeitung jedoch schweigen eisern weiter.
Dagegen sind die Aufschriften auf dem T-Hemd des anderen NPD-Vertreters in der Oranienburger SVV immer ein willkommenes Berichtsobjekt, zumindest solange man sich sicher wähnte, daß der Spruch „Die Presse lügt“ beim Publikum nicht verfängt. Doch gezieltes Verschweigen bzw. Informationsboykott sind eine spezifische Form der Lüge.

Denn hier maßen sich lokale Medienvertreter eine demokratiefremde Aufseherfunktion an, die es in dieser kruden Form sonst nur in totalitären Strukturen gibt.

Es bleibt die zwingende Frage zu stellen, inwieweit nachrichtenfilternde bzw. – boykottierende Presseorgane noch in unsere Zeit passen.

Thomas Salomon

Sie müssen eingeloggt sein, um ein Kommentar abzugeben.